Dienstag, 26. März 2019

Copyright-Reform: EU-Parlament winkte Upload-Filter und Leistungsschutzrecht wie zu erwarten einfach durch

ES IST SOWEIT! Mit knapper Mehrheit haben die Abgeordneten die neue Urheberrechtsrichtlinie beschlossen. Alle Warnungen (darunter auch von Wikipedia) vor Zensur im Netz haben sie in den Wind geschlagen.

(Anm.: Jetzt werden auch Blogs wie unserer sich entsprechend verhalten, unsere Webseite https://www.bmun-gv-at.eu/kontakt ist nur noch für unsere Mitglieder offen zugänglich und dadurch von Uploadfilter, Zensur und Überwachung verschont!)


Viele Online-Plattformen mit nutzergenerierten Inhalten werden künftig nicht darum herumkommen, Upload-Filter einzusetzen und damit geschützte Werke schon vor dem Erscheinen auf ihren Seiten unzugänglich zu machen. Das EU-Parlament hat dazu am Dienstag (26.03.2019) nach einer hitzigen Debatte und heftigen Lobby-Schlacht die seit Langem umkämpfte Urheberrechtsreform verabschiedet.

Für die Initiative stimmten 348 Abgeordnete, 274 waren dagegen, 36 enthielten sich. "Presseveröffentlichungen" werden damit durch ein zweijähriges Leistungsschutzrecht geschützt. Änderungsanträge, wonach diese Klausel sowie die für die Haftung von Plattformen gestrichen werden sollten, kamen gar nicht zur Abstimmung. (Anm.: Wie immer haben die EU-Politiker gegen die Interessen des Volkes aber für die Interessen der Großen- und Mächtigen Konzerne bzw-. Medienkonzerne einen Beschluss gefasst!)

Massenproteste
Wikipedia ... letzte Chance ...
Allein hierzulande waren am Samstag bei einem europaweiten Aktionstag etwa in Berlin, Köln und München insgesamt über 100.000 überwiegend junge Menschen gegen die Reform auf die Straße gegangen. Sie befürchten unverhältnismäßige Eingriffe in die Meinungsfreiheit und Zensur und dürften nun massiv von der Politik enttäuscht sein. Neben Bürger- und Menschenrechtlern sowie Verbänden der Digitalwirtschaft hatten auch führende Rechtswissenschaftler vor dem Vorhaben gewarnt.

Laut der im Trilog Mitte Februar von Verhandlungsführern aus dem Parlament, dem Ministerrat und der EU-Kommission gefundenen Übereinkunft sollen die Mitgliedsstaaten vorsehen, dass Diensteanbieter "für das Teilen von Online-Inhalten" ein Werk öffentlich wiedergeben, wenn sie der Öffentlichkeit Zugang zu von den Nutzern hochgeladenen urheberrechtlich geschützten Werken oder sonstigen Schutzgegenständen verschaffen. Dies hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) bislang anders gesehen. Die betroffenen Portalbetreiber müssen daher etwa durch eine Lizenzvereinbarung die Erlaubnis von allen erdenklichen Rechteinhabern einholen.

Größere Nutzer einschlägiger Plattformen wie YouTuber, die "erhebliche Einnahmen" etwa mit Werbung erzielen und gewerblich tätig sind, müssen trotzdem nach Artikel 17 (vormals 13) nach wie vor selbst Lizenzen für von ihnen genutztes fremdes geschütztes Material abschließen. Die Betreiber werden zudem für das Teilen von Inhalten und die damit erfolgende öffentliche Wiedergabe verantwortlich, was einen Paradigmenwechsel im Haftungsregime darstellt. Bisher waren sie explizit von den damit eröffneten Sanktionen ausgenommen.

Anstrengungen zur Nicht-Verfügbarkeit
Aus dem Schneider sind die erfassten Diensteanbieter nur, wenn sie alle Anstrengungen unternommen hat, um die Erlaubnis einzuholen und "nach Maßgabe hoher branchenüblicher Standards für die berufliche Sorgfalt" ebenfalls mit aller Kraft sich bemüht haben sicherzustellen, dass bestimmte Werke nicht verfügbar sind, wenn die Rechteinhaber dazu "einschlägige und notwendige Informationen bereitgestellt haben".

In jedem Fall müssen sie zudem nach Erhalt eines hinreichend begründeten Hinweises von Urhebern oder Verwertern unverzüglich die entsprechenden Werke sperren, von ihren Seiten entfernen und erneut "alle Anstrengungen" unternommen haben, ein künftiges Hochladen zu verhindern. Auch wenn die Verhältnismäßigkeit der einzusetzenden Mittel ausdrücklich gewahrt und die Verfügbarkeit geeigneter und wirksamer Instrumente und deren Kosten berücksichtigt werden sollen, dürfte es bei fast allen einschlägigen Providern auf Upload-Filter hinauslaufen.

Die dafür verwendeten Algorithmen sollen aber gewährleisten, dass sich alle Nutzer auf ihre Rechte stützen können, zu zitieren, zu kritisieren, zu rezensieren sowie "Karikaturen, Parodien oder Pastiches" erstellen zu dürfen. Für diese Möglichkeit, etwa Meme zu verbreiten, haben die Mitgliedsstaaten Sorge zu tragen. Der Artikel soll auch nicht "zu einer Pflicht zur allgemeinen Überwachung" führen (..oder doch?). ...

Verabschiedet - und letzte Hoffnung(?)
Nicht erfasst werden unkommerzielle Dienste wie Online-Enzyklopädien, bildungsbezogene oder wissenschaftliche Verzeichnisse, Betreiber von Cloud-Diensten für "die eigene Nutzung", Entwicklungsplattformen für freie Software und reine Online-Marktplätze wie eBay. Außen vor bleiben ferner Startups, die weniger als drei Jahre auf dem Markt sind und deren Jahresumsatz unter zehn Millionen Euro liegt. Wenn sie im Monat auf über fünf Millionen Besucher kommen, sollen aber auch diese Firmen alles in ihrer Macht Stehende tun, um das erneute rechtswidrige Hochladen von Inhalten zu verhindern.

So haben sich Österreichs Politiker (Parteien) entschieden!
Das Leistungsschutzrecht soll sich nicht auf Hyperlinks beziehen. "Einzelne Wörter" oder "sehr kurze Auszüge" aus einem Presseartikel dürfen genutzt werden. Verleger und Google streiten seit Jahren vor Schiedsstellen und Gerichten darüber, was die ähnlich gefasste Grenze hierzulande bedeutet.

Der Entwurf muss zuletzt noch den EU Rat passieren. Eigentlich gilt dies als Formsache und soll Anfang April 2019 ebenso einfach über die Bühne gehen. Einige Gegner hoffen aber, dass die deutsche Bundesjustizminister Katarina Barley (SPD) ihren Twitter-Bekenntnissen gegen Upload-Filter doch noch Taten folgen lässt und im Einklang mit dem Koalitionsvertrag den Deal ablehnt. Damit könnte die Mehrheit im Gremium der Regierungsvertreter wackeln.

"Gas gegen Upload-Filter"
Der SPD-Abgeordnete Tiemo Wölken unterstrich bei der abschließenden Aussprache, dass Barley gegen Artikel 13 sei, sich während der Verhandlungen aber Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe geschlagen geben müssen: "Gas gegen Upload-Filter", habe der Deal des Kanzleramts mit Frankreich gelautet, verwies er auf einen FAZ-Bericht.

Die Zeitung habe den "Kuhhandel" aufgedeckt, konstatierte die Piratin Julia Reda, die sich der grünen Fraktion angeschlossen hat. Frankreich halte im Gegenzug für Deutschlands Ja zu der Reform still bei der Gaspipeline Nord-Stream 2. Die 200.000 Menschen, die am Wochenende europaweit gegen das Vorhaben demonstriert hätten, ließ sie wissen: "Die Politik wird Lügen über euch auskippen, wenn es um knallharte geopolitische Interessen geht." Auch im Parlament sei der bislang einmalige breite Protest "mit Beleidigungen erdrückt" worden. Einige wenigen Lobby-Gruppen hätten Diffamierungen frei erfunden, die dann von Zeitungen verbreitet worden seien, "die sich Profite erhoffen". Die Richtlinie sei "verheerend für die Freiheit im Netz", doch nun wolle niemand die Verantwortung übernehmen für Upload-Filter.

Die Linksfraktion trat geschlossen gegen den Entwurf an. Für sie beklagten Jirí Maštálka und Martina Michels eine Zensur des Internets, eine Schikane für Startups und negative Folgen für Diskussionsforen. Kleinere Provider könnten nicht mit der ganzen Welt Lizenzen aushandeln. Dabei hätten Millionen Nutzer den Abgeordneten mitgeteilt: "Man überlässt Maschinen keine Entscheidung über Grundrechte." Besser gewesen wären eine Digitalsteuer, ethische Algorithmen sowie ein strenges Kartellrecht. Der fraktionslose Grieche Lampros Fountoulis fühlte sich aufgrund der Filter an die Sowjetunion und Orwell erinnert.

"Parasiten", "Governance by Shitstorm"
Sonst zeigten sich die meisten Fraktionen gespalten. Von der konservativen Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) hielt nur der Pole Michal Boni Artikel 13 für einen Fehler, da damit Maschinen erkennen sollten, was sie nicht rausfiltern dürften. Das Internet bleibe so nicht der kreative Ort, "wo viele sich verwirklichen können".

Der EVP-Rechtspolitiker Pavel Svoboda lobte den Entwurf dagegen als guten Ansatz, um "mit den Parasiten" Schluss zu machen, "den Plattformen, die geistiges Eigentum stehlen". Für ihn wäre es Zensur, wenn man den Kreativen und Künstlern nicht die Möglichkeit gäbe, sich von ihrer Arbeit zu ernähren.

"Es wird keine Zensur geben, die rechtmäßige Meinungsfreiheit wird nicht eingeschränkt", beteuerte der Berichterstatter Axel Voss (CDU). Google, Facebook und YouTube machten "Governance by Shitstorm" und zeigten, "wie einfach es ist, gerade junge Bevölkerungsgruppen zu instrumentalisieren". Das europäische Kulturgut dürfe aber nicht Tech-Monopolen zur "Ausbeutung" überlassen werden.

In diesem Sinne stilisierte auch der griechische Sozialist Giorgos Grammatikakis die Entscheidung zu einer "Schlacht um Europa und seine Kultur" hoch. Viele wollten, "dass das Netz weiterhin ein wilder Westen bleibe", ärgerte sich auch der italienische Sozialdemokrat Nicola Danti. Seine französische Fraktionskollegin Virginie Rozière wetterte "gegen den Ultra-Kapitalismus" der US-Giganten. Die SPD-Politikerin Evelyne Gebhardt witterte in Artikel 13 derweil ein "wunderbares Geschäftsmodell" für Google & Co, die nun ihre Filter verkaufen könnten. Die vorgesehene "faire Vergütung" Kreativer sei "total verwässert" worden.

Von einem "historischen Augenblick" sprach der französische Liberale Jean-Marie Cavada. Das Parlament suche erstmals, einen Ausgleich zwischen den großen Plattformen und denen zu schaffen, "die sie nährten". Wenn das Sterben der Presse nicht aufgehalten werde, kursierten bald nur noch Gerüchte. Der dänische Liberale Jens Rohde wunderte sich, dass sich die Linke vor den Karren der Tech-Giganten spannen lasse, die keine Steuer zahlten und Kunstraub betrieben. Die Grüne Helga Trüpel betonte: "Alles, was lizenziert wird, wird nicht gefiltert. Wir bringen Gerechtigkeit ins freie Netz." ... wer das glaubt ...
Quelle ©: Heise
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